Kurz vor Anbruch deiner großen Reise bist du hin und hergerissen zwischen froher Erwartung und der Angst vor dem Unbekannten. Was dir Halt gibt ist das Wissen, dass du in ein paar Monaten wieder mit beiden Beinen fest auf heimischem Boden stehen wirst und all deine Liebsten wieder in den Arm nehmen kannst.
Einige Zeit später ist er dann da, der Tag der Rückreise - egal, ob nach ein paar Wochen, Monaten oder einem Jahr, es fühlt sich fast immer so an, als sei die Zeit nur so an einem vorbei geflogen. Du hast wahrscheinlich schnell fest gestellt, dass viele deiner Sorgen bei der Abfahrt absolut unbegründet waren. Du hast in jedem Hostel schnell Anschluss gefunden und unzählige tolle Menschen getroffen. Du hast atemberaubende Orte gesehen und bist ein ganzes Stück unabhängiger geworden. Und nachdem es in den ersten Tagen ein bisschen Heimweh und ein paar Unsicherheiten zu überwinden galt, fühltest du dich die meiste Zeit einfach unbeschwert und frei.
Trotzdem freust du dich auf Zuhause. Auf deine Freunde und deine Familie, auf dein eigenes Bett und etwas Privatsphäre. Und so stehst du schon wieder mit gemischten Gefühlen am Flughafen und weißt vielleicht noch gar nicht, dass jetzt schon wieder ein neues Abenteuer vor dir steht: Das Abenteuer Heimkehr.
Es gibt zahllose Tipps dafür, was man vor einer Reise beachten soll. Oder wie man unterwegs über das Heimweh hinwegkommt. Was einem aber selten jemand sagt, ist, wie man damit umgehen soll, wenn plötzlich wieder alles vorbei ist. Wenn die Reise hinter dir liegt, dein Erspartes aufgebraucht ist und du deinen Sonderstatus als Weltreisender langsam verlierst, während deine Freunde alle wieder zur Tagesordnung übergehen - und von dir erwarten, dies auch zu tun.
Du hast dich vor Anbruch deiner Reise darauf eingestellt, in einem dir fremden Land wahrscheinlich erstmal einen Kulturschock zu erleben. Selten aber warnt dich jemand vor etwas, das man „reverse culture shock“ nennt, also einen „umgekehrten“ Kulturschock. Dieser beschreibt eine Situation, in der du dich so auf die neuen Gegebenheiten auf Reisen eingestellt und an die neue Lebensweise gewöhnt hast, dass es dir nun schwer fällt, dich Zuhause wieder einzugliedern. Dort, wo doch eigentlich alles vertraut sein müsste, fühlst du dich auf einmal deplatziert. Klingt total verrückt? Ist aber so. Und leider kann kaum jemand, der es nicht selbst erlebt hat, dieses Gefühl nachvollziehen.
Der „Reverse Culture Shock“ kann ganz verschiedene Formen annehmen - vielleicht fühlst du dich permanent schlapp und lustlos oder du bist ständig traurig und vermisst dein Leben im Ausland und deine neuen Freunde. Vielleicht bist du auch enttäuscht von den Menschen Zuhause, weil sie dich nicht zu verstehen scheinen oder sogar enttäuscht sind, da du dich nicht so freust, wieder da zu sein, wie sie es erwarten würden. Deine Freunde von unterwegs sind entweder nach wie vor auf Reisen oder selbst schon wieder in ihrem Heimatland. Das Leben scheint für alle irgendwie weiterzugehen, nur du fühlst dich zwischen allen Stühlen.
Zum einen ist so ein Work and Travel Jahr oft eine vergleichsweise sorglose Zeit. Gleich nach dem Abitur oder dem Abschluss des Studiums musst du dir auf einmal keine Sorgen mehr machen über Hausarbeiten oder Zukunftspläne. Gemeinsam mit anderen Menschen in einer ähnlichen Situation kannst du ganz frei in den Tag hinein leben. Auch darfst du nie wieder im Leben so unverbindlich sein. Gefällt dir ein Ort nicht mehr? Dann ziehst du eben weiter. Geht dir dein Reisekumpel nach ein paar Wochen auf die Nerven? Dann geht ihr eben getrennte Wege. Das Wissen, dass alles, was du vor Ort erlebst, zeitlich begrenzt ist, macht dich frei. Du musst dir keine Existenz aufbauen oder Beziehungen aufrecht erhalten, stattdessen kannst du einfach mal schauen, was jeder Tag so bringt.
Außerdem erlebst du auf Reisen oft die unterschiedlichsten und spannendsten Dinge in kürzester Zeit - als hätte jemand den „Fast Forward“ Button für dein Leben gedrückt. Daheim tickt die Uhr viel langsamer - und deswegen magst du das Gefühl haben, dass sich dort rein gar nichts verändert hat. Dazu kommt, dass deine Freunde nach einer Weile natürlich nur noch eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne für deine Reiseanekdoten haben. Das kann frustrierend sein, wenn man so randvoll ist mit neuen Eindrücken, die man alle gerne teilen will. Und dann ist da noch dieses Fernweh nach all den Orten, die du bereist hast, gleichzeitig. Du vermisst die Menschen von der Gold Coast, dein Lieblingscafé in Sydney und die atemberaubende Natur im Northern Territory - im Vergleich dazu kommt dir die Heimat grau vor und das Wetter ist auch noch mies.
Viele Reisende kommen nach ihrem Abenteuer zurück mit einem Rucksack voll dreckiger Klamotten und vielen tollen Erinnerungen - und finden sich trotzdem sofort wieder Zuhause ein. Es ist aber eben auch ganz normal, wenn solche einschneidende Erlebnisse wie ein langer Auslandsaufenthalt nicht „mal eben“ an einem vorübergehen, sondern noch eine Weile nachklingen. Und mal ehrlich? Das ist ja auch der Grund, warum wir aufbrechen. Damit wir unseren Horizont erweitern und auch persönlich wachsen. Und warum du deine Erfahrungen wahrscheinlich nicht eintauschen würdest, selbst wenn du es könntest und das Fernweh auch Monate nach deiner Rückkehr noch zwickt.